|| Mikrogramme ||

(Lyrische Continuationen auf ✧ Instagram)

LXIII

/ ein Stern ist :
gefallen ,
verlo/ren ist :
sein mattes Leuchten ,
verlo/ren ist :
der zweite : mit ihm :
entfallen : dem O/hr

/ zwei Sterne klingen leise : do/rt
nicht mehr : in solchem O/hr ,
doch : Nachklang schwingt
mit leisem Glöckchenton
an jenem anderm O/rt :

Gefälle / m /eines Herzens :

entfallen die Antwo/rt :
ob im klanglos freien Fall
stürzende Sterne
als wirbelnde Blätter
bleiben wollten ,
verdrehend sich nach solchem O/rt ?
ob im Sturze Spuren fielen :
Zeichen metallener Schrift
im Jetzt ? verweht
in alle Lüfte ? / erklang ?
die O/hrgeburt ? hö/rst Du
den Sternenfall ?

/ in alle Winde verstreut : Sterne :
zugefallen : zu funkeln anderno/rts : im :
Gefälle / D /eines Herzens : im :
Nachklang : unserer O/hren :

LXII · die kommen : mit leeren händen

V

: dies Steinchen · דאס שטיידעלע : zu fassen · צו חאפן :
: die Zeichnungen vergangener Stunden
· שעהן , פארפלויגענע : brach ich : auf . auf
diesem harten Grund : zu suchen . gebrochen , aus
jenen heißen Gründen , auf dem die Füße :
: wankten , unsere , zitterten : wir : auch ohne
Erdbeben . bebten : wir : auch ohne Brüche ,
in der Erdenzeit , und bleibt nur immer : :

Zeitenbruch

: für uns ? in Rissen : immer nur :
zwischen jetzt und gleich : sind wir ?
mit rissigem Herzen wühle ich im Grund
nach Zeichnungen unserer שעהן shoen , finde dies
שטיידעלע shteyndele : und Jahrmillion sind der Grund
auf dem die kleinen שעהן shoen : פארפלויגענע farfloygene unsere :
mit dünnem Staube : eingezeichnet sind :
geschrieben steht : jenes volle Öffnen
leerer Hände : verschlungen :
: im Zittern : einmal /
/
nun aber bebt die leere Hand
/ allein ?

IV

und ja : gestehen wir’s ein :
die Sache hat weder Hand noch Fuß –
ohne Fuß steht sie kaum
auf jenem Boden , den man Tatsachen ruft ,
und angesichts ihres Mangels
fußt sie auf nichts :
als einer süßen Luft :
und ja :
ohne jede Hand
fehlt ihr noch der leiseste Begriff
von Tat und Schlag
und einem ordentlichen Gang
des Lebens
– und Sterbens , das sie meinen .
und ohne Hand und Fuß :
kugelt sie als süßes Glück daher
und schlüpft durch jeden schmalen Spalt :
für uns : das Weite zu suchen : unsere Leben .

die Sache aber liegt : als luftiger Schatten
in unsrer Hand : erfassen wir
ihr zerrinnendes Sein :
das heißt :
verwässern wir : die harten Schritte :
das heißt :
beschatten wir : die Räuber
unseres flüchtigen Glücks :
und überführen sie , dass sie uns
überführen wollten und ständig
forderten von uns : die Hand , den Fuß .

und : eben dies : gestehen wir’s ein :
gelingt uns nur : mit
freien Händen ,
leichtem Fuß
und einem Grund
aus salzigen Wassern

III

warum allein die freie Hand : mit einem Griff
: das Rot unserer zitternden Träume :
erfasst ?
. und : mit ihnen verwandt : zugleich
: die krausen Verlockungen vergangener Tage
ergreift ?

warum
mit einem Griff : der
gestaltete Wunsch :
die dünne Luft und
ein gläsernes Echo
in Händen hält –

und tief und
süß und rot
den Abglanz
verblasster Lippen
auf den Spitzen fragiler
Finger balanciert ?

warum allein eine gebrochene Hand :
jene erstarrten Blicke erspürt :
die Du erkennst
in diesem Meer aus Verflossenem ?
und
: im Steine verschleierte Herzen :
mit dem , ) was fehlt ( , reanimiert ?

II

: denkbar wäre :

dass Leere von Händen einmal auch
auf’s Befreien folgte : dass jene , die da kämen :
mit leeren Händen : tödlichen handgreiflichkeiten
entronnen wären , und Leere bezeichnete endlich nur :
das Ausbleiben von fesseln und dem schweren halten
schmerzender Finger am dünnen nichts,
das bleibt in einer kalten leere

. und :

dass neues Nichts in Händen : die leichten Lüfte ,
warme Leere : befreite diese leere Hand zu jenem Griff :
dem jungen Zweiglein gleich – sie : böte einen sanften Halt
für kleine Sängerchen , die kündeten vom Morgenrot im Jetzt ,
und flüsternden Gärten der Rosen in nächtlichen Liedern –
Kunde tragend : eines Unbegreiflichen : Botschaft
haltend : einer Goldenen Pave : blühend

: das Denkbare :

I

vielleicht , dass einmal jemand mit Händen
ins Blaue greift , ausgreifend ausufert : oder :
auszieht , in Blaue hinaus : oder : hinein ? vers le ciel ?

man verflösse dann in ein Meer , das nur Leben wäre :
und ginge man unter in jenen Wassern : man atmete
anders und Anderes mit neu gewonnenen Luftorganen :
man hinge in der Luft : als luftmentsh atmete man :
erstmals . wieder , mit diesen Wassern gewaschen .

Kiemen , die schnappten nach einem silbrig-welligen Blau
von leeren Händen : mit nichts daherschwimmend als Vielfarbigkeit
vollem Griff – und siehe : Wärme wäre im Blau . ein Rot . in sanften Tönen :

LXI · die schwebenden Wesen

VII

:
: und Du weißt : es sind schon gläserne Häute
zu Flügeln geworden , erhoben wurde schon
jener Sand , aus dem die Kinderhände sonst
die bunten : Paläste erbauten . und Du ahnst :
Zeit und Wasser und Kalk und Metamorphose
und Hände , immer wieder Hände : aus Fleisch
und Blut und Mineralien und Wunsch und
Hitze und Erkalten und Formen und Hoffen
und Spüren und Ringen und Tasten : haben
die gläsernen Perlen vor Zeiten um einen
lieben Hals und haben die gläsernen Flügel
derzeit an jene Ohren gehängt : es rauscht
in ihnen das Blut wie jenes Meer , in dem die
Steine ihre Schärfe verloren , verfeinerten ihre
Anwesenheit im Morgen und Gestern und
Heute . und Du ahnst : das gläserne Heute
beflügeln erst die schenkenden Finger und
jenes Glühen , das aus dem Anfang stammt .
:
: und Du weißt : Vielfarbigkeit wird in den
Augen erstrahlen : und Wunder werden
in den Seelen erscheinen : und durch Hände
werden einmal die zerbrechlichen Paläste erbaut :
wenn einmal die Hände jene Zeiten und diese
Augen jene Hände und die Mineralien solche
Flügel und die Zeiten jene Ohren erspüren :
:

VI

–_
und hätte ich Deinen Namen :
begriffe ich
Dich
nicht
\ /

meine hände sollen keine falle sein ,
ich begreife Dich : vermittelt
einzig durch luftgewebe : erfasse
ich Dein flügelbeben ,
ertaste ich ein fließen
Deines lebens auf pochender membran ,

°
|

\ /
meine worte sollen
nicht ein netz für Dich sein , nicht verfangen
in das gleiche Wort für Dich und jene .
Du bist ja Du . mein חבר ,
gewähre mir , Freund : ich benenne Dich :
unverfänglich :
Dein Name sei :
? ( er steht ja da – nur gälte es , ihn zu entziffern
und Du , zum glück , verflüchtigst ihn ) ?

_–
und niemand fängt Dich ein ,
so tanze nur : auf unsrem leisen
Atem , jenen dünnen Zeichen , andeutend
ein Du

worauf warten ?
unerwartet
unerschrocken

mit starken ärmchen , die keine sind ,
hälst Du Dich auf rauem grund
grau in grau

V

) das zarte Fabelwesen ,
jenen : geflügelten Elefanten –
hast du ihn je : erblickt ?
kaum fingernagelgroß
flattert er 
– ein dringliches Insekt , die jüngste Kreatur –
wie neuerlich durch unsre Träume 

– ihm sind die Flügel angehangen –

) ach , hängten doch auch wir
einander bloß die Flügel an –
und nicht Gerücht 
und nicht die Ketten , die zu Boden 
drücken . ach : nähmen doch auch wir
die jüngste Kreatur : zu Herzen .
und mit geliehnen Flügeln machten wir 
: wie neuerlich die Herzen hüpfen .

) ach , bleibe doch verschont , Du jüngste Kreatur
und alle Deine Schwestern , Brüder ,
die Fliegenden : 
/( vor solchen , die erschlagen )\

IV

warum ich um den Schlaf gebracht –
und wie das Leben einst sich überschlug im Glück –
warum ich dann , im fieberhaften Morgen , ach ,
nach Elefanten suchte –

– ich kann’s mit Dir nicht teilen , Bruder , Schwester :
ach , kennen wir uns denn ? und das Geheimnis ,
ach , es bindet :
meine Zunge ja . und bände es sie nicht –
verstrickt wären ja doch die Worte
und Gedanken , ach , womöglich
klopftest Du sie ab : auf Legitimität ,
womöglich aber wäre da : nur hilflos
Suchen , Stammeln , meinerseits –
und keinmal nicht : verstünden wir .

– ach , Schwester , Bruder , wie teile ich –
mich mit ? – und überlisten wir :
das falsche NichtVerstehen ? ach , schenke mir nur
Deinen nahen Blick – und fühle nur
die Glücksgestalt in einem Bild , in dem die Kindheit
wirkt : dem kleinen Fundstück , Elefantenleib ,
die Flügel anzuweben , umflort von dem , was lichtig
dort aus dunklen Gründen sich erhebt . es glänzt :
so unbekannt und fremd , und doch :
ist alles Dir bekannt – geheimnisvoll das ›und‹
– und doch :
ist alles Dir bekannt

III

die feingewebten wesen : sie halten sich
mit starken ärmchen , die keine sind
, auf rauem grund . unerschrocken :
haltet Ihr Euch fest , wo Luft und Licht
und : Feinheit
vergessen zu sein : hatten . einmal
warten auch wir auf rauen gründen ? —
kommen wird , den atem anzuhalten
, eine , einer , jene , jener ? unerwartet
im grau in grau legen wir die Flügel
zitternd an ? und atmen in unbekannten
lungen | und wispern fast verschwindend
in unerhörten zungen :
) ·) sens , mon amour (· (
·) ) beloved : sense mingles in unexpected breaths ( (·
) ) · האלט זיך צו די פיינע פליגלען , נשמה מיין · ( (

II · gedenkend : Franz Kafka | Der Verschollene– das Naturtheater von Oklahama | ·

und könnte man , אפשר efsher , die fähigkeit
, zu fliegen :
erweben ? aus welchen gewüchsen
wäre sie zu erspinnen ? wüchsen sie
an : jene ersponnenen fäden ? an
helle träume vom morgen : an
dunkles wachen von gestern ?

wüchsen sie an – jene verzweifelten
hoffnungen –
an : schulterblättern , die das
unerhörte in leisem kreisen seufzen ?

אפשר efsher : kreist das fliegen um
jenes seufzen der luft in den geweben –
nicht um höhe , nicht um fallen
– efsher אפשר
spielt die luft in den aufgespannten
tüchern . und zieht mit goldenen
linien die möglichkeit in betracht –
אפשר efsher : befähigt
das erspinnen –
efsher אפשר : beflügelt
das verhüllen
in andre stofflichkeit
, in das אפשר vielleicht · ins leicht gehauchte אפשר

I
· gedenkend : Itzik Manger |dos bukh fun gan-eydn | ·

seulement : hingehaucht . seul :
un cœur soupirant . seufzend
das zarte Gewebe zerrissener Herzen
, fragile : le maintien . la main . ay ! qui tient :
verschwiegene Flügel , erinnernd
le doux soupir d’un souffle caressant , durable |
zerbrochen : verloren
die fliegenden Stunden —

verschwiegen , wie Flügel פליגעלעך ,
verloren , wie Flügel · wir beide wissen
, wovon das sprechen mag : und doch : so beten
wir zitternd : pas mort , mon dieu , nicht tot —

ach lass : die Flügelchen das eine
nur verheißen : ein neues Sein in neuer
Welt , ein Sein : un être :
mit Schwere
im Hier
, mit Gewicht : un être
im Jetzt – verlassen
das ›dortn‹ דארטן
erlernend erst ›da‹ דא ,
erst jetzt :
das Verfangen der Düfte in
unseren פליגעלעך Flügelchen ,
das Atmen verheißender
Lüfte — odeurs
— promesse :
ich machte mich klein und leicht wie ein Seufzer
und kleiner noch, und schulterte : comme un souffle :
das Flügelpaar
und suchte dich und
flöge mit dir
גן-עדן zu · vers : le Jardin . seulement : im Hauch —

LX · summertime

II

// nur auf einen Augenblick dazwischen : zu entfliehen \

// schöpfen wir Trotz und schöpfen wir
כוח koyekh Kraft und schöpfen wir nur
aus Wundern
den Atem und leben wir nur
in dieser Sekunde
und dieser Minute \
ohne Tod und Schlag
von Stunden im Genick
// und schöpfen wir nur Heilung
aus Eis \ gegen überhitzte Münder ·
// aus Süße nur \ gegen versauerte Münder ,
// im eigenen Mund , im einen nur , der :
Ungleiches spürt , und ein jeder Geschmack
bleibt nuanciert \ und nicht
die je gleiche : Phrase fällt trocken
aus verdorrten Mündern , die :
wunderliche Geschmäcker
vertrieben haben

// schöpfen wir Trotz und schöpfen wir
כוח koyekh Kraft und schöpfen wir nur \
wo nichts vor Bedeutung trieft
und // Bedeutung nur süß die eine Zunge
bewässert , und jedes Wort nur
Wachsen und Erblühen , nur
ein Eröffnen kennt : nur Einladung ,
ein Lachen nur , nur Fragen , nur Zungenspiel
und : nur Lippenspiel ,
und : nur Farbenspektrum :
in jenen wunderlichen
Zeichen der Welt \

// nur auf einen Augenblick dazwischen : zu entfliehen \

I

ich wünschte mir , wir würden
ausstreifen : Du und ich – oder sie und sie
und sie und ich und er und er und
er und sie und ich und sie und
er und Du und : wir
hätten : würden : würden
endlich ausstreifen : und streiflichter
suchen : eines alten ? oder nie gewesenen ?
glücks :

gedankenlosigkeit auf kleinen füßen ,

als wenn heiße luft noch einladung war ist :
ins kalte wasser die warmen freuden
zu werfen , geteilt mit schwan und bunten
schiffchen und dem krokodil aus luft .

als wenn farben nicht zum anstreichen
mit fremdheit uns galten gelten . sie liegen nur in der luft ,
um alles sein mit glanz und licht und
tiefe / leichte \ zu beschenken .

als wenn früchte und wir vom hassen nichts ahnten ahnen und
gedankenlos die hände nicht zögerten zögern , die
frucht des augenblicks
zu ergreifen : als wenn jeder gedanke
einzig der süße und kälte der melone galt gilt
und wir
kinder
menschenkinder
waren . oder werden .

ich wünschte mir : die unschuld der früchte –
zurück ? oder erstmals ? ich wünschte mir :
die tage ohne grauen , die planschbecken ohne
couleur und stil : zur rechten zeit am rechten ort :
keine überhitzung . nur Du und ich
– oder sie und sie
und sie und ich und er und er und
er und sie und ich und sie und
er und Du und : wir :

streifen wir aus

LIX

II

. · · · . · . un bon moment l’heure juste :

geheimnis : nicht entwachsen
dem erglitzern , sondern
im /wider/schein : verwachsen

solchen stoffen , an denen sich die alte
kinderlust . · · · . · . am nähkästchen
wie noch einmal entfacht , im heute

jener träume : ersprießen diese
blauen schwestern auf ·schulter·augen·höhe· ,
vernähen sich im : . · · · . · .

glanz aus perlenhäuten , handgeweben
. · · · . · .
und ohne zu vergessen lösen sich im
augenblick gebilde auf
. · · · . · .
und lösen ein : bonheur

I

für Hilde Domin · Es gibt dich :
»Dein Ort ist | wo Augen dich ansehen.
Wo sich Augen treffen | entstehst du.«

: ma chère , mon cher | Liebe , Lieber :
– enttäusche nicht die Sehnende | ne trompe pas ce regard désirant –
il est en passe de prendre : | sie ist im Begriff :
den Widerschein Deiner Augen | le reflet de tes regards
: pour une Einladung| zur invitation zu nehmen :
verschließe nicht | ne ferme pas
ce regard verdoyant | den grün umflorten Blick
lasse ein : lasse | laisse passer : laisse
le dédoublement , l’éblouissenment | Verdopplung , Blendwerk
in Deinem Augenblick | dans ton regard
devenir le début | den Anfang sein zu :
. . Lichtwerk , Augenwerk . . | . . de notre création oculaire . .
laisse entrer | einlassend
in die verspiegelten gewächse . | dans cette feuillage reflétée .
ne rejette pas | werfe nicht zurück
die Geisterhand , ihr Ich , | la main fantôme , son moi ,
qui désire naître | das werden will
im Blicke Deiner Augen | dans un regard de tes yeux

LVIII

erinnerst Du noch dendieden
AugenblickAugenBlick auf
messers schneide ? kennst du

noch diesen alten Wunsch , den säbeln
ihre formen abzuschauenlauschennehmen , zu schneiden
die süßen werke in mündliche verheißungen ? weißt

Du nicht
den widerschein aus Märchentagen , als
stumme Lippen schnitten sanfte furchen
in GoldSchmerzLicht der Nacht ?

LVII

° ° ° ins filigrane ausgewachsen ,
hält das verwandelte rund
unserer köpfe jenes :
raumgreifende silber , vergoldet
durch heiße verdichtungen ,
geballt : solch stark gehaltene
wünsche – so verdichtet , so lose
gebunden , dass :
der atem sich hütet ,
vor dem hauch
von nichts ° ° °

weil unseren köpfen ° ° °
die illuminiationen entwuchsen :
das flimmernde wissen um jene
wohnstätten aus dünnem garn ,
beschirmend das , was nur
in erregten lüften sich trägt . °

° atemberaubend jenes innehalten
und anderntags :
Dein hauch – und nichts
verflog nicht , zerstoben °
zu ° lichtem
° °
traumgeflecht °

LVI · rêveries viennoises

IV

das letzte Hemd
gäbe eine Sehnende hin —
könnte sie die angestammte
Konstruktion um :
Haaresbreite nur verlassen :

bückte unter Tonnen sich hinweg ,
den abgewandten Schwestern zu ,
und Schein
fiele als Schleier nur
von ihren freien Schultern —
nur leichte Last
umwehte ihren sonst
vergessenen Gang .

trüge nichts –
als warmes Wissen
von jenem goldberückten
Sehnen : nach ihr . und Stofflichkeit
von warmer Haut auf
warmer Haut
erfasste unsre Sinne .
im zugewandten Blick

erschienen golddurchwirkte Ausrufe
von Morgenglanz und Wangenröte ,
im Mund , im Ohr , im Haar , in Falten
und in Gängen : verwoben
solche Klänge , die uns geformt —
verflochten unsre Arme : zu halten :
was erscheinen könnte

III

· tombée dans les rêves ·
de Shéhérazade · j’ai rêvée
÷ mir träumte : von Chiffren ÷
ay – les chiffres
m’ont confié
des rêves : mille
et une :
fois . einmal , sagten sie
wird tausendfach ein Licht
um alle Blicke sein und eins
wird leuchten : et une lueur
éclairera : mes sœurs : la nuit
tombante . wir werden fallen
dans les bras confiants . ay :

: il faut donc compter : so zähle :

· den Aufschub : l’ajournement
von schwarzer Notwendigkeit ,
verweise
÷ die schwarze Notwendigkeit :
auf ein Morgen , das nicht kommen
soll . ersetze , remplace
die Wiederholung : sich summierender
uniformité . zerteile und wende ,
erfinde den Platz , den Ton
für das eine :

· les nuits pleines d’amour : die Küsse ·
· les contes pleins de nuit : erzähle :
von Deinen Schmerzen . Deinen Tränen :
laisse fondre
la répétition dans tes larmes

und
zähle
auf
den
Bruch : erzähle und
breche
durch ÷ verforme
les ténèbres
par milliers

II

halte mich an rändern
der oberflächigen welt
aus silber und glas . und glas
und silber verdrehen mir
den kopf . ein unsichtbares
herz stößt an . stößt an
die blau umflorten
rippenbögen . und
mit dem kopf
durch gläserene wände
spanne ich die bebenden
nasenflügel und falle :
/ in die lichten untiefen – /
\ aus einer welt , die mich
nicht hält /

I

in inwendig dunkel
gebrochenes Rot
getaucht , 
erklimmen : die
einzigen Auswege :
sehende Höhlen ,

kommen sie inwendig
als Steinchen
aus buntlichtigen
Reflexen
ins Rollen : den Abhang 
aus unberechenbarer
Freude hinab , brechen
auf Schlitten
) ) im Rausche des 
Fliegens auf 
glattem Eis ( ( die ersten 

freien Herzschläge

auswendig hervor .

? entkommen wir
entkommen wir

LV · Yerushalayim

III

: so traue
Deinen Augen nur :
im wohl belichteten Winkel
entzifferst Du zur rechten Zeit
die ephemere Schrift
eines begründeten Hoffens \
Schatten zu durchbrechen // :

: ach traue
Dich , es selbst zu wissen :
die Boten eilen solcherart
von alters her dahin \ suchend :
Dich : zwischen Luft und Lücke : fragend :
durch Licht und Luft hindurch :
nach Dir //

: so traue
Dich , die gebotenen Zeichen licht zu deuten :
zu spannen diedas Sehnen des Leibes //

\\ לייבעלע מיינער

zu fliegen mit wehendem Fell , zu suchen

Dein Sein aus Lücke und Luft ,
Dein Sein in Luft und Licht ,

dem Dunkel entgegen : Dein Ich

II

) ins Blaue hinein ( entläuft
Das zwischen Wänden ergraute Ich ,
Entfliehend dem schweren Atem
Abgesperrter Sicht (in glaslosen:
Räumen) (und Zeiten)

) ins Blaue hinein ( entwachsen
Die schmiegenden Triebe ,
Entkommen dem Grauen
(lichtloser: Tage)
(und Entortungen)
(und Erörterungen)

Ach ( (
Wie ein seltenes Gewächs
Das Ich bewahren : ein Ich , das )
Verwachsen ins Blaue hinein ( orangenes
Sehnen ausufernd in unsre Augen trägt ( ( (

Dem Ich die lichte Nahrung
weisend ) ) dem Lichtigen
unsre Flügel aufsperrend ( (
verwachsen wir ) ) ins Blaue
hinaus ( ( ( ach

ואתה שלום
וביתך שלום
וכל אשר לך
שלום

I

und — unsre Schשwingen streifen
eine Ahnung nur : was Blau
begründet , Grün erwachsen lässt ,
Bedeutungen : im Flug erfasst .

und — im Schnabel sanft gehalten ,
lesen wir die inien auf – erheben
sie mit uns ins dichte Blätterdach :
ein Nest . zu bauen , in dem beschwingtes
Leben weilen kann .

und — in die Töne alter Nacht
verzweigt sich ein Geflecht der
vielen Farben : Knstellation ,
in die . mit bunter Federschrift .
das Hoffen eingeschrieben bleibt —

und — verwandeln wir
in schimmernden Gärten , wandeln wir
die reifen Träume , süßen Trauben
in kolorierten Ate
rauschenden Gesang .

LIV

| wundersame spuren unverhoffter nächte : es

/ mischen sich die reste heißer tränen
// mit farben alter frühlingstage —
/// verzweigt sich ein zarter hauch
//// von verflossenem mikrokosmos

– /\ im augenstern \/ –

///// zu bunten kinderjahren ,
////// über geschmolzenen gewächsen
/////// erhellt in zerbrechlichem licht
//////// sich neuerlich inwendige nacht

LIII

IV · innegehalten

/ weißt Du noch – wie Du :
ein Schwan warst und
keiner Anstoß nahm – an Dir ?

: weißt Du noch – wie Dir :
aus allen Poren Schäfte
wuchsen und Äste
auf Deinen Armen sich verzweigten ,
und Du : warst getragenes Geflecht
in leichtem Element ,
)) m ((ein Kind ?

: weißt Du noch – wie Du :
ohne Stöße leicht
ein Zweiter warst und ein Dritter ,
und ein Flügelgeflecht
trug Dich und mich und
jeden , der nur wollte ? :

/ wisse nicht – wie wenige
wollten /
/ wisse nicht – die Scheren /
/ erinnre nicht – den Bruch \

/ ach , erinnern wir – hélas – zu gut \
das Austreiben / der Luftwesen \

: kehre )) es (( um :
: und wisse doch , dass Deine :
Federn neu austreiben .
\ und wisse doch , dass Messer
lauern am niederen Boden /
: stoße Dich ab . )) m ((ein Kind :
ins freie Dunkel :

III · innegehalten

„ lass uns in purpurne Tiefen
versenken ; lass uns versinken
in ein kleines Jetzt , das über alle
Ränder drängen will ; lass uns
auf schmalen Säumen ein
abendliches Morgen schöpfen ;

„ lass uns auf dünnen Häuten
ins Gestern leuchtender
Kinderaugen eilen ; lass uns
in schimmernden Kreisen
in neue Gewässer ziehen ;

„ lass uns auf gefiedertem
Silber das Befeuernde finden ,

„ lass uns schmecken : die Süße
lang gereifter Farbfrüchte .

lass/en wir/ uns ein ,
in tiefes Rot
/ aufs Überschäumen /
unsres Versenkens

II · innegehalten

lass uns zu den Blättern eilen
– und schweigen .

ich wünschte – Du tätest mir kund
vom Nichtbegreifen eines Wunders .

ich wünschte – Deine Blicke
schenkten mir die Worte ,
die den Lippen fehlten – ich wünschte :
Dir fehlten die Worte ,
ansichtig der Fülle –
ich wünschte :
verwundertes Schweigen
verbände uns .

ich wünschte , Deine Blicke
senkten sich auf pretentionsloses
Glück . ich wünschte , wir hielten
inne , wir knieten
in Blättern , von schlichter
Schönheit berückt . verrückt vor
verwundertem Begreifen – wünschte ich ,
Deine Blicke höben sich erneuert
zu mir . wie wünschte ich : Deine Tränen ,
für das Kleine . wie wünschte ich :
die kalten Hände , wir hielten
einander im warmen
Lebenspochen ,
wie wünschte ich die Wärme
Deines Atems
im Angesicht . wir weinten
und lachten . liefen und fielen und
knieten . verbänden
unsere Wunden .

– Verwunschen siehst Du nicht. Du sprichst in einem unverwundert fort. Und nichts verbindet uns
und Deine Worte reißen Wunden. Und Deine groben Schritte töten das Leben
in den Blättern. unseres.

I · innegehalten

ein rotes Blut , berauscht auf Mund und Wangen :
bleibt ungesehen . verschleiert hinter grauen Wolken : die
irisierenden Häute : eines arc en ciel . den Blicken
bleibt sein Grün und Braun versteckt wie jenes
Blau und Weiß umwundner Lichter entzogen . das Silber
der Träger verflüchtigt sich ins Wolkige . vom Licht
besondert . verschmelzen fremde

Körper :

pochend am neuen Tag . entstehen nächtlich neue
Schattengeburten . Schattengewächse – ein

homunculus
aus buntem Blut und grauen Regenbögen . auf seinen
drei Beinen entwachsen ihm die tragenden Flügel und
alle Spitzen seiner Türme ragen in kühlende Himmel
hinaus . flächig liegt auf seiner Hand : das Süße ,
das zu neuem Werden drängt . das Schattensein ,
das Hoffnung trägt .

– so bleibe nur, du lichter Schatten –

LII

III · Vapeurs

unter
bald-
achinen

b’schirmt

ein golden

l / languir d’amour —
i / impossible —
c / chaud —
h / hauchend
t / erträumt —

l’énigme . gehaucht ,

béschirmt :
sous les étoiles
un désir
dessous, étoilé
de rêves
aériens .

bald, ach, bald – ach,
in
welchen träumen
finden wir uns ,
b’finden wir uns
in goldenen fluchten ,

wir fliehen
bald, ach,
in’s
luminose

II · Vapeurs

;;;;;;; nächtens : seelen
verdoppelt
· wie tanzten wir ·
· wie tanzt des tags
das wulkje nun
· wölkchen — schweben ·
über bitter — süßem leuchten
· wie schweben wir ·
wie schweben flüchtige
figuren · wie

verflüchtigen dichte
schleier
in leichtem sich ·
in leichtfüßigem
schweben

bei lichte betrachtet

steht still, was
niemals steht ·

still bittend
um süße · im glühen
um leichten fuß, mit
leuchtendem grund
an schwebenden
fersen · drehen uns
in neue figuren : tanzen
auf doppelten böden ;;;;;;;

I · Vapeurs

.. / Vapeur .
komm, und lass

mich, laisse-moi :
sentir un vertige
sans peur, sans

doute . verfliegt
senti —
mental, erhitzter
geist , chaleur —
euse —
ment : al . la peur .
euse — joy

Vapeur,
VaPeur,
vapeur, va,
peur, va, peur,
va-t’en \ ..

laisse-nous : hinauf —
fliegen, voler, wir
fliegen auf, diebe, wollend,
die wir sind :
volant la joie,
nous voulons, nous
volons, volons
la joie à la peur . //
diebische
Freude, joie fumante
joie fulminante de voler

— vertige vaporeux —
— chaleur charmante —
viens, va, va
chez moi \ ..

LI

VII · Seh | n | en

. /. /.
. . . —— wer ? . . .
. . — sag, Liebe, wer ? .
. . — wer
bist Du? . . .
.
. . . —— wie ? . . .
. . — wie Du :
. . . —— wie Du
durchwehst
. mit flammend odem .
. lichtem atem . als sturm nicht, als
. ruach .
dies finster fühlen
. . — ?
.
luft mir schenkst, und lichten rauch,
und flammend ruach . . —
.
. . . —— an Dir,
Liebe, verbrenne
ich, in Dir,
. — nur dunkelheit,
. . . — lippen nicht, Du Liebe,
Dein kuss
verzehrt
nicht dunkel, die finger
. . . — nicht, Dein leichter
ruß umschmeichelt
gelenk
.
.
: // :
. . —— Dein schattenwurf
erleuchtet
profan verschattete
risse : : .
. . Deine tänze auf . —
kleinen monden : lunulare
hoffnungen am
. . ende einer zeit . .
schwärz Du mich an,
allein von Dir bleibt dies
— zeichen
einer liebe : : //

. . . —— wie ? . . .
. . — wie Du :
. . . —— wie Du . . . zu werden . —
ein unbegriffen wesen,
— entflieh dem festen griff,
kein zugriff, der flammen
—kuss mit
. .
/
|
angehaltenem
atem
|
/
. . .
so sei, so bleibe,
— mein odem, Du,
mein ruach, Du,
mein lichtes
atmen
in dunkler

. . . //

VI · II · Seh | n | en

’’’’’


erinnerst Du
noch jene hand, die Dich

nie fasste?
spürst Du noch das

suchen, das ins
leere griff?

fassunglos begreif
ich meinen traum,
unbegriffen fasse ich

ein traumgesicht –
ein herz – such mir

ein herz, im traum,
er, inner-
lich, mein leben
liegt in jener
hand, in jener
leere liegt aller
träume suchen

fasse Dich, Du

träumende
| das nie |/
/ | das nichts |
streckt wartend
Dir die leere
hand entgegen

ergreife sie,
zerdrück sie nicht,
zerbrechlich ist das
nichts, fragil das nie //

es blüht nur
dann
er-
träumt
-es
’’’’’

VI · I · Seh | n | en

und wer

um eine handbreite bloß,
so fein geädert · wie Du, wie Du ·
empor nur ragte, spitzte
sein sehnen dem himmel zu .

und wär

ich daumenhoch bloß,
so gut beschirmt · von Dir, von Dir ·
erstiege ich an Deinen glätten,
Deinen spitzen

die freien lüfte
entschieden zweifelhaften
lebens

V · Seh | n | en

halte
eIn /// .
Zu bRuch gegangen, zu
Boden g
efal
len
// ˘M/ein Hoffen /.

zerbrochene Gefäße, Krüge, die
nicht halten mehr

ein Glück, gefunden einmal
zwischen

Bruchstücken von Le
ben, im GerÜmpel
vieler Seelen —
warst ein Glück
und still
test
ein Seh
nen
/ ˘A/mEin .

LeBens
st ü cke | Kunst/ ˘S/tÜck /e///.

lÜcken im
glücke,
gL
ück
im

SchMerz / ˘E //.
und ScHerb en –
haltet
eIn stÜckig

G/ ˘L/ück ///.

IV · Seh | n | en

nicht schwer-
kraft überwinden, kein
meister
der verrenkung

musst Du sein ,

· es ist nicht schwer ·
· es ist nicht schwer ,

auf einem bein zu stehen, zu
sehen, was zu leben heißt ·
sehen zum sehnen machen,
ein mehr ersehnen,
so
sehe, sehe, sehe .
so
sehne Dich .

auf einem bein zu stehen, zu
hören, was zu leben heißt :
so
höre, höre, höre,
was brandet an Dein ohr,
so
höre, höre, höre
augenblicks ein
klares rauschen
im tönen
vieler wellen :

es ist nicht schwer, das
überschäumen
Deines herzens – ein gleiches
pocht in mir
und ihr und ihm – und unsre
wellen
schäumen ineinem
über
schroffe kanten .

so
fühle, fühle, fühle,
was unter unseren
füßen hinfortgezogen
wird , und wellen
lassen tief
Dich sinken, dorthin,
sehne
Dich

zu leben . auf einem
bein , unser
Du und ich
und sie
und er . entgegen
deren hörigsein
hören wir ineinem
vieles rauschen .

III · Seh | n | en

ausufernd schwebte
Dein Wassergewächs,
Meerestochter, warf

Schatten im Nu
auf Tiefenschicht
eines bewegten Seins, im Nu
wurzelten Deine zarten Triebe, im Nu
entflossen sie,
in denen Funken
meiner alten Wünsche
sich entzündeten, und

brannten mit Feuer im Nu und
brannten sich ins tiefe
Sein, im Nu
nur ohne Wissen – bewusstlos
bis
zur Reflexion :

opak schwebten
verflossene Gedanken abermals
zu Dir |

tauch unter, lass Abgesetztes neu
verfließen, lass Schweres schäumend
springen, lass alles stehen

in stillgestellter Zeit | erklärt
sich unter klarem Film
ein gleißend Feuer, glänzende
Korallenarme
ergreifen mich im Nu

II · Seh | n | en

hart

ins Auge bist Du


mir gefallen,

gestochen aber

hast Du im Herzen

weich —

entflossen aber

bist Du dem Auge

zerronnen aber

bist Du


als
Träne,
zerflossen aber


über Hand
und Hals
und Brust
·
bleibst Du
als grüner
Hoffnungsschimmer
·
alt geflossenen
Glases, schimmerst mir
als Vorschein
· mit sanfter Härte ·
Deiner runden Ecken :
erweichst Du Starre neu,
Dein Griff — ergrünender
Kairos ·
aus Unmenge
gegriffen ·

I · Seh | n | en

zerbrach ich | sehenden Auges
zerbrochen Schutz von Blicken,
vor Blicken in ein
rotes Herz _ ein glatter
Bruch _ zerteilt die Form der
Gefäße

wer wehrt den glatten _ brechend
Blick, wie wehren, nicht in
Trümmer gehen

wie _ ?

| entraten eines Schutzes
liegt schutzlos, unberaten, liegt
zersprengt, fließt Rot zum Komplement, Wunden
eines Bruchs, Inneres liegt blank
als weißes Herz

und blutet Staub|

zu form-
en neu-
en Leib,
Gefäß, aus Weiß und Rot zu machen,
Gefäß_e zu neuer Form gebracht, dass
Rot als Blau sich zeige,
dass falsch Gedoppeltes
verrückt-
es Neu-
es
werde, amorphe
Hoffnung wehre
falschen Blick, der Form
ins Herz uns stechen will – ein

Bruch

zu neuem Blick, zum
_ Schutze _ Blick
ins Herz

L

VII · tooth of time

noch heute undenkbar
und morgen geschehen

noch heute das Denken,
das morgen vergeht

noch heute die Rosen ||
am Morgen verblüht,
fallende Blätter

noch heute
umwendbar –
das Morgen zu sehen :

noch heute zu wenden
und alles wär Spiel

||

wer nimmt in die Hand : den
Schädel der Toten, und richtet
an leere Höhlen im Spiele ein
denkendes Wort, zu fallen
am Ende, das Denken erloschen –

am Ende
die Rolle beiseite gelegt
und alles war Spiel, die
Toten wie Spieler
erstünden verbeugend
im Ernste und von
der Zeit gebissene
Zähne : das Denken
befleischte aufs Neue sich
zum Biss, und nicht nur auf
Blättern erstünde
erneuertes
Außen

VI · tooth of time

Ermöglichung in :
Bildern, in : Versen,

inversen Bildern –

Ermöglichung, dass
einmal soll seyn : die
Nacht am Tage, die
Toten am Leben

hoffend : inverse
Verkehrung – wo
Lebende heute
schon Tote sind, bleibt :

freizubeißen · Biss
zu setzen : aufs
Falsche
einer Richtung,
zu wenden
die Blätter

der Geschicke

und
aus
fatum · Geschick
werde :
Geschichte
zur : Ermöglichung

V · tooth of time

Verwerflich?
Werfe durcheinander,
verwerfe das, was gerade
stand · verschiebe, was im
Steine steht, Gesteins-
verwerfungen —

» all that lives must die «

aa d ee h ii lll m ss ttt u v

ultimate
hades
still
v –

wie?

wie?
v –
v – ibrant
v – ivant

je suis,
encore,
v –
ivante

still living,
still im Hadern,
ultima multis,
ultima hora,
letzte Stunde
zur
letzten
Rettung,
v – ertreibe
den Stachel
des Todes,
v – erwandle
V – ergehen,
v – ertreibe
V – erderben

all that dies must live

IV · tooth of time

·|·|·| Mit schaukelnden Beinen
säßen wir, |·|·
schaukelten wir auf Steinen – einer
neben dem anderen,
fassten uns,
fassten Mut,
fassten uns
mit Händen.

Ein Lachen erfasste uns,
wir schüttelten uns
vor Kälte nicht,
wir schüttelten uns
vor Albernheit —
wärst Du nicht kalt,
trennte uns nicht ein Nichts
von einem Hauch der Zeit,
eine dünner Hauch
der kalten Zeit in zahnlos Mund,
·|·| wir lachten, dass Zähne
klapperten, lachten auf
Steinen, die nicht
erinnern bräuchten.

|·|·|· Würde ich nicht kalt,
wer säße einmal neben uns
und machte
albern Kinderspiel mit uns,
wer schüttelte mit uns
die Verse
aus? ·|·|·|

III · tooth of time

Wie, Zeit, auf meine
Zähne legtest Du Dich
nieder? Verzahntest Dich mit

Deinem steten Drehen in –
meinem Mund?

Scharfzahnige, gemeinsam
finden wir den Dreh, wir
feilen an Bissesschärfe
und schreien – uns die Zähne
aus dem Leibe

nicht, wir
schreien und schreiben
einem Höllenschlund

bezahnte Zeit entgegen.

Zum beißend Zahne werde

hier die Zeit – zu nagen nicht
am Leben, zu beißen das, was
tötet.

II · tooth of time

Bissest Du ab, verzehrtest Du
in übergroßem
Hunger steinern Mal _ verzehrtest
Dich nach
_ Stein_mahl
/zeit _ ?
Fraßest unersättlich Dich durch
Unverdauliches? Verschmähtest
die Reste? Oder bissest Dir an
harten Ecken und Kanten
die Zähne aus in Deinem
beharrlichen Steinfraß?

Abgebrochen : Verzehrung – oder
beißende Beharrlichkeit?
Lag Steinma|h|l schwer im Magen

Dir, Verwitternde?

In Deinem Maul schwand Form
und Sinn _ Eckenschwund, Buchstaben-
schwund _ Schwundformen bewahrter
Zeit, Bissspuren verzehrender Zeit.
Steinfressende,
mahlst Stein zu feinem Staub, dass
Mahl/Zeit er entkomme,
˚ e i n m a l ˚ ?

I · tooth of time

— Monolithen —
Einspruch ˚
Widerspruch ˚ Widerschrei,
nicht duldend Unerträglichkeit
der Schwerelosigkeit, der Un-

umstößlichkeit,

mit der ein Leib
der Schwere beraubt,
mit der ein Leib
des Fleisches beraubt,
mit der ein Leib
des Wesens beraubt
»wird« ohne »werden«
ver — wesen —

— setzt Schwere, Widerstand, Gewicht leichtem Tode zuwider —
— schreibt steinern Zeichen in den Himmel —
— seid Zähne des Unterkiefers, einem Erdreich zu entwachsen —
— schreibt Bissspuren entfleischter Zähne in papierne Lüfte —
— zeigt Zähne Eures Unterkiefers : dem Himmel, beißt Euch an ihm fest —

hofft, es mag bezahnter Oberkiefer ˚einmal˚ wachsen nur,
auf dass er an Euch schlage und beißend als Gebiss
die Zähne Ihr mit ihm dem Tode zeigt, den Stachel zu entreißen,
als welcher er im Fleische steckt — den Dorn
zu ziehen ˚einmal˚

XLIX

›Nimm es hin – mit diesem Tier
wird endlich alles gut . Nimm es hin,
mit diesem Glitterflitter wird endlich
alles gut.‹

Das alte : ausgedient, Dienst hat es
nicht erfüllt, dass :
endlich werde alles gut . Sein Glitter-
flitter vetrieb die Geister nicht, die
geisterten um : Deine Tannenbäume,
heim (elig) · (lich) Tannenbäume , die heimelig
ein Grauen nicht verdeckten
schillernden Bunts ,
das Grauen Deines Heims,
das sauber ist und reinlich
. von Altem .
Das Älteste bist Du .

Mit jedem flittrig Totemtier glaubst Du
dem toten Tier entfliehen zu können, das
Deine Zukunft ist . Im neuen Jahr ein
neuer Glitterflitter, wenn Neues sich nicht
holen ließ mit alter Wiederkehr,
wenn Altes wiederkehrt in neuem Immeralten,
im Totemtier und Paradiesesbaum .
Statt Paradies das **schmucke paradies**, in dem das

Menschlein fehlt . Und übrig bleibt ein
horrorheiter
Glitzern . Du nimmst es hin ?

XLVIII

wie wild
a\ng\ustiae

das Pochen
der Brust
wie wild
das Stechen

wie wild, wie es
wild ausstrahlt

am rasend 
stagnierenden
Platz in voller
E\ng\e

vor Panik wie wild,
wie wilder Wiederholungs-
zwa\ng\

wie wild
sticht mir das Herz,
zittern die Hände mir
allein, allein
umringt von Hunderten :
Notizlosen –
ihnen entfliehen,
allein, allein
zu sein

und geht nur um ein
wenig 
fehl,
so sind wir alle hin,
notizlos 
oder nicht

wie wild, wie wild,
der Halt auf freier Strecke,
wie wild, wie wild,
als Biomasse durch die
Welt gejagt, als Masse
über Zeit-Geleise

Entkommen Jagd, Entkommen
Schaukeln, Entkommen ewig
schaukelnd Lärmen, Entkommen
anästhetischer Synästhesie

wie wild, wie wild
jagt mir das Herz 
in E\ng\e fortgerissen,
wie :
ich bin

rasende
a\ng\ustiae
kilometerweise
rasend 
fort-
platziert in E\ng\e,
Blut gestaut
rasend zeitlose
Zeitenjagd, eingefahren

XLVII

— Flogst Du hinauf · des Schalles halber? —
· Täublein ·
— Flogst Du hinauf · der Menschen halber? —
· Zu fliehen halbe Schlächter, unten? ·
– Zu suchen halbe Engel, oben? –
· · Schall | Schutz · ·

· lautlos rieselt | es | aufs Haupt ·
|rieseln lautlos Rufe | gurrend Gold darnieder|
— heavenly shouting | heavy shouts —
· — suchen Rufe ungehörig Wohnstatt — ·
— Himmelsschwere sinkt in Gänge unsres Ohrs –
| kristallen scharf umflort |es|stumme Kunde |
· · · fern erklingend · · ·
· gurrend Tove ·

XLVI

Verschlossen liegt, was Dein
Geheimnis kennt | 701 | in mir |
Siebenhunderteins · nur magisch
angezogen ahne ich vom primus
Deines Beginnens, vom Runden
Deiner Linien, verquerer Acht,
Geschlossenheit des Sinns, entschlüssele

| Ganzes, Nichts und Eines – mein Mysterium |

XLV

mir schwante : Du kämest als
flattriger Diminutiv, sänkest wie jener
vom Himmel hernieder, sänkest
in digitale Betten
meiner Hände – Dich einmal,
einmal nur :
hervorzuheben ·

ich ahnte : Im leisen Flattern Deiner
Schwingen das weiße Rauschen
eines Liedes, dessen Töne wir
nicht verstehen. Sangst Du
vom Kleinstem · das kleine Echo
zu verstärken ging ich
an hallende Orte – zu lauschen
ersterbendem Schönen,
gespitzten Schnabels
auf Verwandlung wartend,
zum Leben :

XLIV

IV

Central geblickt, unvorbereitet ins
Blaue hinein, blauäugig wie ich war.
◊ Durstig sattes Blau ◊ trinkend · geschöpft,
gesättigt, genährt · erschöpfend,
ertrinkend ◊ im satten Blau,
ziehe ich mich rettend
an begrenzten Rand. ◊

Rette mich ins opake Augenweiß
◊ bulbus oculi · bulbus, bubble,
rettendes Bläschen of deep and
blue water ◊ of deep and clear liquids
◊ in fluide Opazität.

/\ eingefasst
/\ umrahmt
/\ unscharf
/\ unscharfe Ränder, wie man Träume
/\ sich imaginiert, Unschärfe wird
/\ scharfgestochen,
/\ nähere ich mich Centrum,

nähre ich mich an Unschärfe, nähere mich
vom Rande an Schärfe, ◊ annähernd
geblickt, seitliche Annäherung,
bereitete annähernd mich
aufs ◊ Mysterium vor, kam ihm
seitswärts näher, fand Wege
im Blau ◊ Wege ins Blau, ins Blaue hinein,
trinkend Erinnerung, ohne Untergehen,
aus Caeruleus und Aurum
in marine Tiefen sinkend. ◊

III

Schauen wir einander an, als Aug
in Aug,
sei okulare Abwehr :

/ übler Blicke, die nicht
ins Innere man lasse, wo sie
verheeren wollen und vernichten
| bonheur · la vie · la créature |
/ üblen Blicks, der fällt im irren Wahn
auf armes Leben nieder, es hin-
zuopfern geht sein
Starren aus, Augen starr
verdreht vor blindem
Gehorsam an den Tod

Dein Blick aber, der schirmend
mich bewahrt, ist fétiche zur Lust, ist
porte-
bonheur aus alter Zeit,
la porte in alte Ferne, das Tor zu
Freuden, die Augen noch erblicken
sollen,
Leben erstrahle
abermals | le chaim | und nehme
üblen Blick von uns und löse
Todesfluch
aus starren Blicken

II

Erscheine *****, passiere
irisierend Haut, die über
Inneres sich legt, als feste
Flüssigkeit den Blick
mit Farbe tränkt, und
zentral : opaleszent
ins Innre mir,
ins Zentrum blickt.

Mich dürstet
nach emittiertem
Licht, erscheine *****,
komm als Welle, fließ
als Bogen, sei Glasfluss
plätschernd Sauerstoffes;
erscheine *****, passiere
himmelverschleierte Lider,
nehme Schleier mir
von dürstend Iris, verflüssige
zum gläsern-festen
Blicke Dich.

und

***** wird erscheinen, im Blick,
pigment·
gesättigt,
opalin
erleuchtet

*****


I

* nicht nichts behauptend, Passage
nicht verneinend, nicht Identisches
von inwendig und auswendig
erscheint *

* erscheint Bewegung, zerstreut, was
offen uns vor Augen steht, abgelenkt
Zielstrebigkeit, die aus allem
Identisches macht, ob Licht, ob Luft,
zielstrebiges Geschoss zerstreut jedoch
in abertausend Winkeln *

* nur abgelenkt erscheint ein hoffnungsvoll
Verschiedenes, das gläsern ist, nur hingebend
an Welle sich, laufend in alle Richtung, verläuft
gläserne Träne fließend sich ins Weite, verläuft als
Faden sich und muss sich nicht verneinen, rundet
sich passager und fließt um das, was klar
gezogen ward, Gliederung
von unsichtbar Inwendigem, gläserne
Lichtgestalt der Hoffnung, schattiertes Vorgesicht
von Leben
erscheint zerstreut,
erscheine *****

XLIII

Griff · nicht
einzuschließen,
nicht griffig
einzufangen ·

/ tasten nervichte Wölbungen
nach dem, woran man
sich, wie Ihr sagtet, die Fingerchen
verbrennen kann.

/ tasten torulus tactilis, fein-
fühlige Beeren, nach dem,
wofür man Hände ins Feuer
zu legen bereit wäre.

/ ihm wäre · wie das Flimmern von Kerzen-
erleuchtung · wie das Aufprasseln
sich verflüchtigenden Wachs-
dampfes auf taktilen Spitzen · das Flüchtige
kein Fremdling mehr.

Lichtgriffiger
Flammensprung
wäre solches
Begreifen

XLII

Zerstreute Dep/latzierung, wo
un\gehörige Wärme un\erwartet
Mark und Bein durchströmt,
am Kipppunkt . . . . .

Denken auf der Kippe, penchée:
la penseuse, geneigt zu denken,
contenu penché, geneigte
Liquidität,

Ki/p/p/p/unkte an
umflortem P/latz,
es kippt das Denken
und sucht sich fremde
P/lätze, ungehörige,
um unhörig zu
werden,

sapere aude, ma
tasse, verweigere
gehorsame
P/latzierung,
verweigere
gehörigen
Kniefall . . . . .

XLI

Vermessenheit,
mit Lineal gezogen:
Maß von Unwilligkeit, Eigenleben,
das abseits liegt,
wird springender Punkt,
wird voluminös,
Curriculums Gerad-
linigkeit zu
durchkreuzen –
pardon, Ihr Wächter,

zerknüllt der Plan zum
geraden Gang.
es liegt
zerknüllter Plan zum
Aufbegehren,
vermessen
verweigert

XL

III · Flatterhaftes Bestehen

falling lines \26\05\1751\
\
.
kryptisch spricht
aus fernem Raum
überscharfe Linie
hitziger Figur
\
.
falling signs

hieroglyphisch ging
in nahem Raum
das Zeichen stichscharf nieder
hitziger Figur

gemessener Fall
\
.
zerstörerische Hitze, d.i.
in fremder
Vertrautheit, rasend,
verwandt | geformt
aus Gleichem anders

von Kräften, die
formten, was
verformte Dich | verformte sich
durch Dich?

gemessen am Fall,
\
.
Steinfall von Hraschina, und glühend vor
\
.
Erkenntnis von Ferne,
kündete aus ferner Zeit der Fall
von Regelmaß und Zeichenhaftem \
von flatterhaften Kräften \

II · Flatterhaftes Bestehen

zum Trotze geboren «
trotz ersterbenden Lebens «
Traum aus Tod
» « enkoimesis » «
Geburt
zum Trotze
immergrauen
Todesgrauens

zu durchschlagen
Grau, Grauen zu
schlagen,
windet
Schlange
in graue
Lüfte sich
empor «

wohl geschnürt
und
wohl
gemessen
geschnürte Flügelchen, Traumschlaf, » «
den Absprung ins
Grau,
ins Grauen zu nehmen,

verhedderten geflügelte
Füßchen sich nie

in wohl gelegten Falten,
· // die der Tod geworfen,
um alles zu verhindern
und lindernd Gift der Schlange
zu zerschlagen // ·

«« durchzubrechen im
Luftigen
und remedium zu finden im
Traum von Luft » «

I · Flatterhaftes Bestehen

Schimmertest . als
wäre glatte Haut
aus glänzend Stein
geschnitten

. als wärest, Kleine, Du:
Skulptur,
Zäsur,

geschnitten von
Gemmarius, kleine
Gemme, die Du | wie
Du
schienst.

Als wärest, Kleine, Du:
cloisonné, das zarte Glas
geflossen über grünen Schimmer,
als wären Äderchen metallen
Stege, auf denen
Leidenschaft ins Meer
gläsernen Scheins
zerfließt.

Zäsur im Fühlen, Schnitt in das,
was starr wurde. Schnittst,
kleines Leben, mit Zartheit mir
erinnerte Skulptur,
bewahrtest Glanz mir unter
gläsern Fluss,
in memoriam, im Blick.

XXXIX

Was war : aus Fleisch.
· berührt mein Fleisch
und Herz.

Was schuf, für das
was war: aus Fleisch.
· berührt mein Fleisch
und Herz.

Was ward
aus Stein geschaffen:
schuf Fleisch.
· berührt mein Fleisch
und Herz.
· berührt von meinem
Fleisch.

· und Hand, die ist, auf Hand
und Herz aus Stein,
· und Hand, die war, schuf
Hand die war, und war noch nicht
aus Stein.

Versteinerte Gezeiten – was ist,
war steinern schon
im beinern Kern
berührt mein
Fleisch
und Herz.

XXXVIII

Turricula des Meinens:

\ Unverdächtig, als sciurus,
· schattengebender ·
in Mimesis gelangst Du an den Kern ·
\ Errate aber:
· stochastikos ·
woran Zähnchen

sich ausbeißen – nicht zerbeißen sie
sich selbst ; zerbeißen, wenn
Kerne – in kernlosen Früchten –
sie wähnen,
die gute Ernte ·

im Klammergriff
des Berechnenden
zerfiele Rätsel eines
zu Erratenden

\ Kernschatten
des Glücks
in nuce –

nichts bricht
den Zufall

auf.

XXXVII

then – back
to light, my
digitus ·
delight ·
be light
and shining ·
be light
and slight ·
again

bi/n/
· leid
bi/n/
· ’s leid :
zergliedert,
zerfallen,
zerspalten,
zerstäubt,

bin · arius,
zersplittert,
kämpfend
zerlegt?

Zerstreutes zerspringt
ins Eklatante,
septär der Weg
in orbitae,
und handgreiflich
begreift es Sinne,
full of delight
and shadow
und Schein
again

nuances
schattiert
synpotic

XXXVI

VII · Verschattet

Jean Paul zum Gedächtnis · à l’imagination

Grauen, Schwester – Asche,
die giftige Riesenwolke,
der »giftige Riesenschatte
der schwarzen Zukunft«,
erstarrte Dich, als plötzlich
ausbrach : aschene Zukunft?

Lapis, lapidarius –
ohne Zier, und fest in
Stein geschrieben steht : das
Schicksal : ein »Gorgonenkopf«,
geradlinig verschleiert,
bezeichnend,
»lässet langsam die kalte
Versteinerung die
warmen Adern
durchdringen
und
füllen« :

Lapidar das Schicksal
zu entsteinern : sanguin
erscheinend, bleibt
ein Platz an Deiner
Seite?

VI · Verschattet

Adelbert von Chamisso zum Gedächtnis

Flüchtiges nicht achtend,
nicht achtend, was nicht
fest begreiflich ist –
verloren wäre jeder,
verloren ist, wer Leben
nicht als Schatten
fasst.

Ein Fleckchen nur
verdunkelst Du
und verschattest
nur
ein
Fleckchen.
Fleckchen aber, Schatten-
wurf, ist alles, was da
atmet, ringt und fühlt.
Und wird bald stärker hier,
bald schwächer
bis zum Nichts.

Das Schattenreich – ist
hier und jetzt, ist Dis
nicht, ist Dies-
seits.
Ach, wäre Schattenreich,
zum Orkus stiege ich hinab
und griffe Unbegreifliches,
Dich Liebsten, nähme ich,
und gäbe Schatten Dir,
zum Leben.

V · Verschattet

Birgt pflanzlich Haut,
birgt dünnes Pergament :
·
Lebenskeim
in Transparenz,
·
und Tränen lagen
eingehegt im grünen
Gitter – Perlen,
Margarete, tropften
· für Dich, für Dich ·
Du Ernste, von
dünner Haut
auf grün-verschattet
Leben.
·
Ex favilla,
Tropfen keimet!
Ex favilla,
·
in favillam
grabt Spuren,
in Staub und Stein,
lacrimae,
tief bis in
die Wurzeln
des Hades
ein · · ·
und klopft mit
Zeichen unerbittlich
ans Tor
der
Atropos
zu fordern:
viridis · · ·

IV · Verschattet

/
Ränder zerfallen
zerschattet, zerrend
der Schatten an
idealer Form
alter Zeit –
es bricht \\ und doch
greift Nymphe aus nach
Neuem,
nach haltend Leben in
festgefügten
Wassern
und
acht || end
überschreitet
sie
Gefüge –
und eilt
in Schattenzeichen
fort
zerfließt in Helle und
/
in Dunkelheit
·

III · Verschattet

Spule ab,
bergab –
begrab
uns unter
eisern Rad,
in Staub
drück uns,
in tiefe
Furchen
nieder.

Erschiene Geisterhand,
Fortunens Rad zu greifen,
Rad der Antias, nur,
in Speichen einzugreifen
– aus Schatten würde
Fleisch erstehen.

II · Verschattet

Hingestreut und
– arbiträr?
Punkt um Punkt,
bedeutungslos?
Wohlan, so werde,
Kontingenz,
so werde mir:
zuteil, dass
Punkt für Punkt
ein Strich zu
ziehen ist, er
gangbar wird:
als Linie
auf Flucht,
und münde
punktgenau
in Abgrund ein,
so dass
invers
wir laufen können
und fließen mit dem
Blut hinauf.

I · Verschattet

Und welches Licht wirfst Du
auf sie, dass vegetabilis,
mit Fleisch, nun werde sie?
Mit Blut und Knochen Schwester
Dir, doch, Schwester, nur
verschattet?
Zeichnest, was ist,
auf Fleisch und Blut und Knochen,
nur ephemer
löst Farbe sich von Form
und eint, was lange sonst
geschieden ging,
nur ephemer.

XXXV
* Béla Balázs zum Gedächtnis
(Der Mantel der Träume)

Beraube mich
und
bringe mich
um den
Verstand | im Rausch,
berauscht
beraubt zu sein |
vom Funkeln |
der Besinnung.
Verwandelst in Träume
mir das Fühlen bei
Tagesschein und machst
des Tags aus mir
Geliebte, die vergeht,
wenn Liebeswort
den Magen ihr rebellisch
macht, die Kehle schnürt,
das Herz durchdringt,

und wirr sich dreht im
Liebestaumel,

die Finger sehnend sich,
Untastbares
zu spüren.

XXXIV

Ein Hauch nur
reißt Euch fort
von mir . entzweit
vom Körperchen …
ist jedes Atmen …
gleich einem Sturm, auch
sachte seid Ihr fort …
gerissen, hinweg,
wie jene, die Euch trug,
und jene, die Ihr
zum Lichte brachtet …
mit dünnen Häuten
fingst Du Licht …
ach wäre nur
ein Körperchen.

XXXIII

IV · Steinerne Utopien

Tastend fingen
Finger, hart, geschnitten,
Haut und Fleisch
ertastend
abgeschliffen und länger
schon als \Ich\.
Gläsernes |Ich|
zerbrach, um
Licht zu brechen.
/Ich/, tastend,
fing satte Formen-
farbe, abgeschnitten,
frei vom schneidend
harten Zwang
zu fügen
sich
in feste Formen-
farbe.

III · Steinerne Utopien

Ach, wäre doch ein jedes Herz
aus solchem Stein, wie Du,
und wäre eines Namens würdig,
des eigenen, wie Du,
den sie Dir doch
verweigern.
So eigen wie Ihr seid, ganz unbesorgt
im Eigensein, und keiner gleicht
dem anderen.
Und sie, die Farbe abgeschürft und alle
Formen abgerundet haben,
sie nennen Euch als einerlei,
und sind nur selbst
zum Einerlei
erstarrt.

II · Steinerne Utopien

Schein | und | Widerschein,
winzige Sonnen | | scheinen:
Dem Licht entzogen,
augenscheinlich
nicht zu finden.
Aufgebrochen unter grauem
Allerlei, verhüllt in schwerem
Schein, Weiß des Schleiers,
doch umgekehrt: Im Innern
ist nicht Grau, nicht Allerlei.
Verhülltest augenscheinlich
was aufzusprengen unnütz
schien. Unscheinbar,
das Schöne und aufzusprengen
augenscheinlich.

XXXIII · I Steinerne Utopien

Närrische Hoffnung:
Schroffe Kanten, um:
ineinander sich
zu fügen.

Inwendig Form nicht:
zu verlieren, nicht:
zu verlieren Verbund.
Verbunden, Eigenes,
Form als Schroffheit nicht:
zu verschmähen, in Form
zu suchen, eigenen Verbund.
Zu suchen:

Ecken, Form, um:
ineinander sich
zu geben.

Es sei:
das Narrengold:
das Unsere.

XXXII

I · Den Fluten enthoben

Fühlend, Brüderchen:
Samsas, Du, Cerambus’,
Du – auf feinen Füßchen,
tappst feinfühlig, tappst
sachte Du einher, wo
Flügelchen aufs Spannen
warteten, Sensillen ahnend:
Haut auf Haut.

II · Den Fluten enthoben

Ingeborg Bachmann zum Gedächtnis

Nur weg, hinweg,
Undine, lass panisch
uns entfliehen
Sintflut, die aus
Worten steigt!
Fliehend starre Wellenwand,
die Schlimmeres uns bringt
als Zeit und Tod
und unter Festem uns
begräbt und unseren
Schrei erstickt!
Hinab mit uns, hinab,
dass Wasser
Wellen
breche!

III · Den Fluten enthoben

Nichts stand Dir bevor,
Nichts drohte Dir,
Dich fortzureißen –
im Dunkelblau
erwartete Dich
schwarzes Nichts.
Langte Kontingenz
zu Dir herab,
dass Dunkelblau,
nicht Nichts
Dir bliebe.

XXXI

Gestaltenwandler Ihr,
Ihr Schlafwandler,
schlaft Ihr denn, im Wandel?

Schlaft, das Glück zu suchen,
in Scharlach Euch zu kleiden?

Freie Flügel suchend, verpuppt
in Schlaf, das rote Glück zu finden?

Und legt das alte Kleidchen ab:
Fortuna sollt Ihr werden,
Coccinellidae,
in Scharlach gehüllt,
träumt Ihr von neuer:
Gestalt.

XXX

Entsprungen, aus dem Nichts,
die Lust, am Tage – unbotmäßig,
war: gebietend,
gebot das Leichte.
Und Botschaft formte,
wolkengleich
wie aus dem Nichts,
ein Rätselbild im Kreisen.

XXIX · II schwesterlich gebannt

Die Schlangen, Medusa,
taten Dir nichts.
Deine Gesellschaft waren sie,
Gefürchtete,
Wehrhafte, wie Du.
Und sagten Dir so manches
Wort mit süßem Kuss
ins Ohr – so süß,

dass andere Dich morden wollten.
Doppelt, dreifach Verfluchte,
Gebannte, die Du bist.
Nichts fiel diesen ein, als Kopf
Dir abzuschlagen.
Nicht fiel diesen ein,
im Gift Remedium zu suchen,
im Blick Erlösendes.

Gebannt von altem Gerücht.

XXIX · I schwesterlich gebannt

Arachne, steh mir bei!
Und lehre mich: Gewebe spinnen,
in das sich zart verfängt
nicht Fliegenbein,
doch Farb und Licht und Form
durch weißlich-grauen Schleier
verbunden wird zu neuem Netz,
das jederzeit zu lösen wär.
Auf dass wir zwei entkämen
einem Fluch, den jene einst
verhängte über alles Sein, das
Götternetz zu lösen suchte!

XXVIII

Dreiheit werde Fünfheit,
nicht Einigkeit, der Drei.
Gräbst, mit scharfen Krallen,
Spuren in den Grund,
gräbst, mit lichten Krallen,
Pforte in den Abgrund ein?
Entschieden liegst Du da,
brichst, was starr sonst schien.

XXVII

Hindurch, erscheine,
erschüttere, hindurch!
Lässt jedes Stäubchen
noch ertönen,
das Fädchen
scheinen mir:
als stünd es himmelhoch. –

Nicht ferne aber, nahe mir
erschüttert Sonnengeflecht
das meine – ruft
Töne neu hervor,
aus Ferne alter Zeit,
und neue Nähe alten Glücks
durchstrahlt nun Eingeweide mir,
durchpulst nun Solarplexus.

XXVI

Umzuwenden das Blatt,
zu wechseln die Seiten,
der Drahtseilakt
gelänge wohl auf dünnem Holz,
– resonierendem,
gelänge wohl auf dünner Saite,
– räsonnierender.
Die Worte, die sie sprächen,
verkündeten: Rebellion,
zartbesaitete,
dem Eintönigen zu trotzen.

XXV · Augenblicke

Und blickt aus klarem Rinnsal
mit tausend Augen uns entgegen,
doch niemand hebt den Blick
zur Niederung herunter, und sähe
Schlacke nur und nicht das
Sediment des Blühens, in dem
die Steinchen sich im Blick
emporzusteigen drängen.

XXIV

Wäre nur ein Tor ins Blaue hinein,
eröffnete es fein durchzogen uns:

Schwingenden Grund, in dem das Licht
sich fing und uns auf kleinen Hufen
weitertrieb gen unerhörter Fülle.

XXIII

Glänzend liegt, was kunstvoll nur
zusammenkommt,
ein Steingewächs, gediegen Gold,
ein Harzgewächs, versteinert Wuchs.

Mimesis an ḗlektron.
Mimesis an chrysos.
Brennend Stein, lapis ardens –
entzündet Licht den Glanz
in dem, was absichtslos zerfahren liegt,

und erst im Scherbenhaufen glänzt:
Kristallenes,
ein Steingewächs, doch:
obenauf,
ein Harzgewächs, doch:
nur im Augenblick.

XXII

Tanztest in Bausch und Bogen,
umflogen Blätter Dich
in wildem Wirbel.
Tonus hat Dich verlassen,
Ton verflogen Deiner Blätter.
Statt Spannung, Sattheit:
gibst Du nun:
Dich hin.
Wer blickte nun:
Dich noch an,
wo, hingebend,
Du Flügel hängen lässt,
Röcke Deines Schoßes?

XXI

Lockst Kinderlust herauf: Ein
Scherenschnitt,
im Spiel des Schattens,
durchtrennte dünne Linie –
mehr Einladung als Grenze.
Lockst Kinderlust hervor: dem Haar
die Nadel zu entlocken
eröffnete uns Schattenreich,
in dem uns dunkel Leben ruft.
So gut gespielt: die leichte Grenze,
so gut gespielt: der Übergang
zur Lust.

XX

Geschehen auf dünnen Häuten
wechselhafte Tänze:
Zarter Film,
auf dem mit jedem Hauch
Spektralfarben sich neuerlich verformen,
hellicht zur Sicht gebracht:
wie Vorsatzblatt in alten Büchern.
Nun lese ich auf dünnen Häuten:
Farb und Form,
durchpulst von Wollust, kindlicher,
vom Rausch der bunten Fülle.

XIX

Centralgestirn,
in sonderbaren Kreisen
geht Dein Tanz,
die Luft brauchst Du
in sonderbar behäuteten Gewässern,
Gespielin
Deines Taumels,
wie Du
verheißungsvoll
dort oben
an der Spannung
kreist.

XVIII · continuiert

Entlang der Ränder:
streifen, kein Halt,
doch fallen wir
– noch –
nicht, liegt aufgeblättert
noch,
blüht Dir und mir
noch:
was sonst verschlossen,
hinter Linie sich spannt,
was sonst im
Dunkeln bleibt,
und leuchtet, daß wir
dunkel ahnen.

XVIII

Prangst
vollendet,
rufst
mit dem, was
Aug und
Labium
zum Sturzflug
treibt
in Deine
Mitten, die zarten
Glieder nur auf Dich
gerichtet, bleibst Du
verschlossen,
bleibe
üppig:
verschlossen,
Labsal uns.

XVII

Als wäre nichts geschehen.
Als wäre nichts: gefallen.
Als wäre nichts: skelettiert,

kommt neues Leben
und hat doch auch Skelett,
auf dem das Leben
aufgezogen
– wäre.

XVI

Passoire fängt,
durch Öhr fließt:
Durchlässiges,
fängt
lichten Faden,
fließenden,
passierenden.

Formen, zu:
durchbrechen,
versperrt –
Zuschreibung,
vergessen –
Zweckmäßigkeit,
durchbrochen,
durchfahren,
ohne zu fragen,
fußend auf
Zeichen,
unverstandenen,
quelle passage.

XV · continuiert

Chaim Nachman Bialik zum Gedächtnis

Nun sollt auch Ihr
dem Abgrund trotzen,
auf spitzen Fingern gehend
ein Kunststück wagen,
doch droht Euch tiefer Sturz,
durchbricht das dürre Seil –
den Abgrund stopft Ihr nicht
mit lichten Worten,
ach, klettert doch hinab
und haltet aus:
des Wortes Dunkelheit.

XV

Was trieb Dich,
Kleiner,
an diesen Ort,
an Kante,
die für Dich nicht scharfe
in den Abgrund ist?
Kleine Kunststücke
zu wagen,
die nicht benannt,
nicht gesehen sind,
auf spitzen Füßen gehend
zwischen freiem Rand
und Mondessichel?
Nichts wusstest Du von Worten,
die den Abgrund stiften,
nichts von Bedeutsamkeit
und warst bedeutender
als sie, mein Akrobat.

XIV

· Kindesbeine I

Und schwindelt’s Euch
nicht, in luftiger Höhe,
den Kopf so hoch
empor gereckt,
was mag der Reiz
des Kleinen
Euch sein?

Bein neben Bein,
unter dem Tisch,
wohlgeordnet,
wohlgefügt
in verständiger Rede,
über dem Tisch.
Reiß aus,
in die Tiefe.

· Kindesbeine II

Auf Silberfüßen gehen,
und dann, wohin?

Zog einer aus,
das Gehen zu lernen,
und fand
gewagte Form.

· Kindesbeine III

Ach, komme doch
mit mir,
gemeinsam wollten wir
dem Zahn der Zeit
die unsren zeigen.
Ob Du an seiner Pforte
wachst, mein Cerberus,
du Gütiger?

XIII

Auf dem, was blühte Dir,
vermodert,
steht stolz erhobnen
Hauptes, gekrönt,
umkränzt
in lieblichem
Kontrast.

XII

Hades’ Tiefe
entlockt,
entsprungen,
bleiben auf dem Sprung,
Tagschattengewächse,
die Nacht treibt neue
Blüten
hervor.

XI

Irrwitz treibt mich
– um,
– hervor.
Die ersten zarten
Triebe,
wohl ragen
manneshoch,
und sind doch
weniger
als jener
ungeheuer-
lich.

X

X · I Neuanordnung

Was hilft’s, wenn
sicher ist benannt,
gegliedert
ohne Zweifel,
als: Revolte
– im Neu-
benennen.

X · II Neuanordnung

Zersprengst mit Deinem
Standpunkt,
was sicher schien,
Einspruch nur durch
Anordnung.

X · III Neuanordnung

Gewimpert, gegliedert,
gefußt –
hat Deine Wahl
auf heiklem Grund.

IX

Nur kurze Zeit,
den Ephemeren,
die wir sind.
Und blüht doch:
mutig,
schreit entgegen,
dem Vergehen:
Wir sind,
nur kurze Zeit,
wir sind.

VIII

Im Schiefen, Ungefügigen,
lässt allein
sich’s leben.

VII

Wie aus dem Nichts,
ganz unverhofft,
woher die Lampe,
die mit Licht,
nur anders,
brennt?

VI

Was das Himmlische wäre –
man schaue nur hinauf:
Alles zu durchkreuzen,
Pläne vor allem.
Wie es das
Täublein weiß.

V

Am Wegrand liegt,
was nicht vergeht –
Farbe, Form und
Schönheit.

IV

Welche Pforte wäre hier zu:
durchschreiten?
Wartend, Geduldige,
auf einen, der es wagte?
Vor der Farbe?

III

Und legt sich auf den Zahn der Zeit
Verwobenes,
so wird die Zeit
einmal:
Gespinst.

II

Gerüstet blickt,
eisernen Sinnes,
auf Treiben
– darnieder,
Zacken, die den
Himmel beißen.

I

Und geht die Nacht uns nicht verloren,
so bleibt noch Zeit

zu Träumen.
Aus Traum allein
gebiert die Nacht
Erwachen.